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🕊️ Ein Ethik-Bekenntnis zum Doktorat

  • wschultze
  • 31. März
  • 8 Min. Lesezeit

Von Werner Francis Schultze, @Novus Tempus


 

Einleitung:


In einer Welt, in der akademische Titel oft als Statussymbole gehandelt werden, möchte ich einen anderen, vielleicht altmodisch anmutenden, doch zutiefst menschlichen Gedanken in Erinnerung rufen: Dass ein Doktortitel nicht das Ziel, sondern ein Weg-Zeichen sein kann. Ein Ausdruck von Verantwortung – gegenüber dem Denken, gegenüber der Wahrheit, gegenüber dem Menschen.

 

Was folgt, ist kein Antrag. Keine Selbstbeweihräucherung. Sondern ein inneres Gelöbnis:

Ein stilles Bekenntnis an die geistige Würde des Forschens – und an die Notwendigkeit, dem Wesentlichen eine Form zu geben.



Geschichte, als Spiegel der Gegenwart


Der Fortschritt einer gesellschaftlichen Epoche zeigt sich darin, ihr eigenes Selbstbild der Gegenwart mit dem Spiegel der historischen Vergangenheit zu konfrontieren. Als Substrat dieser Reflexion offenbart sich die Frage, inwieweit ein Entwicklungsprozess den Anspruch einer reifen, pädagogischen Entwicklung erfüllt hat.

 

Mit Entsetzen lässt sich beobachten, dass sich insbesondere seit Beginn des 21. Jahrhunderts eine Debattenkultur zu etablieren versucht, die nicht nur von den Idealen und Gepflogenheiten vergangener Zeiten abweicht, sondern selbst in ihrem sittlichen Verständnis entgleitet. Dieses Streben nimmt beunruhigende Züge an, die mit düsterem Erschrecken wahrgenommen werden. Die Qualität bürgerlicher Expertise verklingt zunehmend und gerät unter unsittliche Verfolgung – bis hin zu existenzbedrohenden Maßnahmen, die bereits ergriffen oder im erweiterten Sinne künftig angedacht sind, deren Charakter an inquisitorische Akte vergangener Epochen erinnert.

 

Die Veränderungen in der Debattenkultur und der Umgang mit Expertise und kritischen Stimmen zeigen alarmierende Parallelen zu historischen Mustern – Parallelen, die es nicht nur zu reflektieren, sondern mit wachem Bewusstsein zu hinterfragen gilt.

 

Im historischen Rückblick von Debattenkulturen sowie auf Verfahren und Verhaltensnormen, die das Verständnis moderner Wissenschaft prägen, führt kein Weg daran vorbei, insbesondere für Europa jene Epochen zu betrachten, die nach der ‚dunklen Phase‘ ihr Lichte entfalteten.



„Ich nehme das Denken ernst – aber nicht das Theater drumherum.“



Nicht falsch! – Über Wahrheit, Wissenschaft und Zertifikatskultur


Ein illustrierter Auftakt von Novus Tempus:

Was darf Wissenschaft leisten – und was nicht? Ein Gedanke zwischen Philosophie, Humor und Ernst.



Wahrheit ist kein Zertifikat. Wissenschaft ist kein Dogma. Und dennoch: In einer Zeit, in der Papiere über Prinzipien zu triumphieren scheinen, lohnt ein kurzer Blick auf das, was wir als „nicht falsch“ bezeichnen – mit einem Schmunzeln und einem ernsten Unterton zugleich. Wissenschaft ist kein Wahrheitsorakel – doch das, was sie ausspricht, ist immerhin überprüfbar. Und dennoch sind wir in einer Welt gelandet, in der Zertifikate über alles herrschen.


Willkommen bei Novus Tempus.



„Eine Spezies, die sich ihrer Vergangenheit – und damit ihrer soziokulturellen und politischen Entwicklungen – nicht stellt, ist dazu verdammt, gefangen zu bleiben und die Verfehlungen vergangener Epochen zu repetieren.“



Reflexion zum Ethos der Aufklärung


Schon seit der Antike betrachteten Gelehrte Staat und Staatsformen ihrer bürgerlichen Gesellschaften mit kritischem Blicke. Aufbauend auf die aristotelischen Betrachtungen ergänzte Polybius von Megalopolis seine Ansätze zur Verfassungstheorie und zum zyklischen Wandel politischer Ordnungen – mit besonderem Fokus auf moralischem Verfall und Machtmissbrauch, als treibende Faktoren staatlicher Instabilität.

 

Daran anschließend führten ergänzende schriftliche Ausführungen dieses Gedankens insbesondere den italienischen Staatsphilosophen Niccolò Machiavelli vor den Obrigkeiten seiner Epoche in Verruf. Nachdem Machiavelli von den Medici, einer einflussreichen italienischen Dynastie, verbannt wurde, verfasste er die Abhandlung – Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio –, die es zu seiner wohl einflussreichsten politischen Schrift machte.

 

Darin betonte er die Bedeutung historischer Analyse, um politische Entwicklungen vorherzusehen und Krisen rechtzeitig zu begegnen. Seine Überlegungen knüpften an das Konzept des Verfassungskreislaufs an und legten den Grundstein für eine realistische, pragmatische Betrachtung von Macht und Politik, die bis heute nachwirkt.

 

Auch in anderen Machtstrukturen stieß Machiavelli auf Ablehnung – die katholische Kirche setzte seine Schriften auf den Index der verbotenen Bücher und brandmarkte sie als „Teufelswerk“.

 

Die Zeit nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches im Jahr 476 n. Chr. wird oft als Frühmittelalter bezeichnet und erstreckt sich bis etwa zum Jahr 1000. Frühere Geschichtsschreibungen charakterisierten diese Epoche als die "dunklen Jahrhunderte" Europas, insbesondere aufgrund eines vermeintlichen Bildungsrückgangs und kulturellen Niederganges.

 

Mit dem Zerfall der zentralisierten römischen Strukturen kam es zu erheblichen politischen und sozialen Umwälzungen. Die einst einheitliche Verwaltung des Römischen Reiches wich einer Vielzahl von Königreichen und Stammesgebieten. In dieser Zeit gewann das Christentum zunehmend an Einfluss und wurde zur dominierenden religiösen Kraft in Europa. Die Kirche übernahm vielerorts administrative und bildungsbezogene Aufgaben, die zuvor staatlichen Institutionen oblagen. Klöster wurden zu wichtigen Zentren der Bildung und Wissensbewahrung, in denen antike Schriften kopiert und studiert wurden.


Aber!!!


Für Großteile der Bevölkerungen und ihrer strukturellen Schichten bedeutete der Rückgang der Alphabetisierung einen enormen Verlust - an Eigenständigkeit im Denken.

 

Gerade die Kirche konnte diesen Zustand nutzen, um dogmatische Narrative durchzusetzen, da nur eine kleine gebildete Elite Zugang zu Wissen hatte. Religiöse und politische Autoritäten wurden dadurch weniger hinterfragt, weil das Wissen nicht mehr direkt durch individuelle Lektüre (z. B. antiker Texte oder Bibelstudium) erlangt werden konnte, sondern vermittelt wurde – oft mit einer Agenda.

 

Trotz dieser Bemühungen war der Zugang zu Bildung und schriftlichem Wissen „im Vergleich zur Antike“ eingeschränkt. Die Alphabetisierungsrate sank, und das intellektuelle Leben konzentrierte sich hauptsächlich auf kirchliche Institutionen. Dennoch kam es im Frühmittelalter zu bedeutenden gesellschaftlichen Entwicklungen:


  • Politische Transformationen: 

Das Frankenreich unter Chlodwig I. und später unter den Karolingern etablierte sich als dominierende

Macht in Westeuropa und legte den Grundstein für das spätere Heilige Römische Reich.

 

  • Kulturelle Synthese:

Die Verschmelzung römischer, christlicher und germanischer Traditionen führte zu einer neuen kulturellen

Identität Europas.​

 

  •    Missionierung und Christianisierung:

Die Ausbreitung des Christentums in bislang heidnische Gebiete förderte die kulturelle Einheit und trug

zur Etablierung gemeinsamer Werte bei.​


Obwohl das Frühmittelalter Herausforderungen sowie den Rückgang städtischer Zentren und Handelsnetzwerke mit sich brachte, legte es dennoch wichtige Grundlagen für die spätere kulturelle und wissenschaftliche Blütezeit des Hochmittelalters, die im weiteren Verlauf den gesellschaftlich-kulturellen Werdegang prägte und schließlich in die ‚Epoche der Aufklärung‘ des 18. Jahrhunderts mündete. Zu deren wichtige Vertreter gehörten beispielsweise: René Descartes, John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant.



Die Aufklärung als Gegenbewegung zur „Dunkelheit“


Die Aufklärung war genau aus diesem Grund eine Revolution des Denkens – nicht nur philosophisch, sondern auch in einem sehr konkreten gesellschaftlichen Sinn:

 

  •     Alphabetisierung & Bildung für mehr Menschen 

Mehr Menschen konnten sich Wissen selbstständig aneignen.

 

  •     Die „Fackel des Lichts“, als Symbol

Diese Metapher ist tief in der Kultur verwurzelt.

 

1.       „Licht ins Dunkel bringen“ = Wissen gegen Unwissen

2.       „Erleuchtung“ = geistiges Erwachen

3.       „Fackel der Vernunft“ = Wissenschaft und Erkenntnis gegen Dogmen!

 

 

Die Bezeichnung „Aufklärung“ ist daher kein Zufall – sie definiert sich über das, was vorher gefehlt hat: Das Licht des Wissens gegen die Dunkelheit des Unwissens.


Als bemerkenswerter Aspekt in diesem Diskurs erweist sich die sogenannte Gegenaufklärung – eine Bewegung, die sich nicht grundsätzlich gegen das Licht der Aufklärung richtete, sondern vielmehr für eine regulierte und verantwortungsbewusste Wissensvermittlung plädierte.

 

Die Gegenaufklärung bezeichnet eine ideologische Strömung, die sich kritisch mit den Prinzipien der Aufklärung auseinandersetzte. Während die Aufklärung Vernunft, Individualismus und universelle Werte betonte, hoben Vertreter der Gegenaufklärung die Bedeutung von Tradition, Gemeinschaft und kultureller Vielfalt hervor. Diese Bewegung war nicht prinzipiell gegen die Aufklärung gerichtet, sondern suchte nach Wegen, wie Wissen im gesellschaftlichen Kontext erarbeitet und im akademischen Diskurs im konstruktiven Dialog begegnet werden sollte.

 

In diesem Kontext entstanden erste Überlegungen zu methodischen Leitlinien, die den wissenschaftlichen Austausch strukturieren sollten. Der Fokus lag auf dem Anliegen, einen respektvollen Dialog zu fördern – mit dem Austausch von Ideen und der Anerkennung unterschiedlicher Perspektiven. Diese Grundhaltung ist bis heute prägend für den akademischen Diskurs: Sie fordert nicht nur kritische Reflexion, sondern auch die Bereitschaft, Differenz als produktives Moment gemeinsamer Erkenntnis anzuerkennen.

 

Zusammenfassend:

Die Gegenaufklärung war nicht einfach reaktionär, sondern verstand sich in vielen Fällen als Korrektiv, das die Aufklärung vor ihren eigenen Entgleisungen schützen wollte – vor Hyperrationalismus, Fortschrittsdogma oder einer Entwurzelung des Individuums. Ihr zentrales Anliegen war die Methodik der Wissensgenerierung; sie formulierte erste Regelwerke für Debatte und Wissenschaft. Insbesondere Autoren wie Edmund Burke, Joseph de Maistre, Justus Möser, später auch Carl Schmitt oder Odo Marquard betonten die Bedeutung von kultureller Einbettung, langsamer Entwicklung, Diskursregeln sowie emotionaler Intelligenz im Umgang mit Wissen und Gesellschaft.

 

Während die Aufklärung auf „Vernunft“ setzte, betonte die Gegenaufklärung, dass diese Vernunft sozial verankert, historisch gewachsen und dialogisch vermittelt sein müsse – also nicht als abstrakte Ratio, sondern eingebunden in einen Diskurs, der auf Gegenseitigkeit und Respekt beruht. Durch eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit Wahrheit und einen respektvollen Dialog über Differenzen hinweg, eingebettet in ein kulturelles, geistiges und menschliches Ethos, wurde Wissen als lebendiger Prozess verstanden. In gewisser Weise war die Gegenaufklärung damit der erste Versuch, eine regulierende Instanz für den Umgang mit Wissen zu schaffen – nicht durch formelle Kodizes, aber durch die Betonung von Tradition, gesellschaftlicher Verankerung und einer respektvollen Debattenkultur.

 

Eine Haltung, wie sie etwa von Isaiah Berlin oder Peter Sloterdijk beschrieben wurde: Nicht regressiv – (im Kontext einer zivilisatorischen Degeneration des Diskurses), sondern eine Warnung vor Entwurzelung und Überheblichkeit – ein Reflexionsinstrument gegen die Hybris des reinen Rationalismus. Letztlich war die Gegenaufklärung kein Feind der Vernunft, sondern deren sozial verankerte Reflexion. Sie war ein Korrektiv, das die Grenzen einer entkontextualisierten Ratio aufzeigte – nicht um sie zu zerstören, sondern um sie auf ein nachhaltiges Fundament kultureller Einbettung und diskursiver Verständigung zu stellen.



Ein Plädoyer für Verantwortung, Tiefe und Wahrhaftigkeit


Es verkörpert die zentralen Ideale der Aufklärung – die Autonomie des Denkens, die Verpflichtung zur Selbstprüfung und die Würde des Wortes über den Titel. Zugleich ist es durchdrungen von einer Haltung der Demut und des Maßes, von der Anerkennung kultureller und historischer Eingebundenheit sowie dem respektvollen Diskurs als Voraussetzung für Erkenntnis. Mein Bekenntnis richtet sich nicht gegen den Titel, sondern gegen seinen Missbrauch und Fetisch.



Das Bekenntnis


Ich strebe keinen Titel an, um erhoben zu werden –

sondern um mich zu verneigen vor der Würde des Gedankens.


Ich suche keine Medaille, sondern ein Gefäß,

in dem sich das Wesen meiner Überzeugung sammeln,

verdichten und Zeugnis ablegen kann –

nicht für einen Augenblick der Anerkennung,

sondern für ein ganzes Leben in Verantwortung.


Der Doktorgrad – so wie ich ihn verstehe –

ist kein Schild, sondern ein Spiegel.

Kein Besitz, sondern ein Gelöbnis,

mit wachem Geist und offenem Herzen

der Welt zu begegnen und ihr eine Antwort zu schenken.


Wenn ich also forsche, so nicht um zu glänzen,

sondern um zu erkennen.

Wenn ich also schreibe, so nicht, um zu beeindrucken,

sondern um dem Wesentlichen Ausdruck zu verleihen.


Und wenn am Ende ein Titel steht,

so sei er nicht Schmuck,

sondern stille Bekräftigung dafür,

dass Denken – wenn es aus Tiefe kommt –

immer eine Form finden darf.


Nicht um des Titels willen –

sondern im Dienste dessen,

was uns Menschen aufrecht gehen lässt:

das ehrliche Bemühen, das Wahre zu suchen

und das Gute in die Welt zu tragen.



Fußnote:

Dieses Bekenntnis entstand im Rahmen einer vertieften Auseinandersetzung mit der Frage, welchen Wert ein akademischer Grad – insbesondere der Doktortitel – im heutigen Zeitalter noch besitzt. Es ist Ausdruck einer Haltung, die den Menschen nicht nach seinem Rang, sondern nach der Echtheit seiner Worte beurteilt. Es wurde als innerer Orientierungstext formuliert und versteht sich als Einladung zur geistigen Besinnung.


 

Schlusswort:


Der Verfassungskreislauf und die Systemdynamik des Wissenschaftsbetriebs

 

Der Verfassungskreislauf zeigt, dass jede Ordnung ohne bewusste Gegensteuerung ihrer eigenen Korruption erliegt. Diese zyklische Dynamik gilt auch für den Wissenschaftsbetrieb, wo fehlende kritische Reflexion zu Machtkonzentration und Dogmatisierung führen kann.

 

 David Easton, einer der einflussreichsten Politikwissenschaftler des 20. Jahrhunderts, betrachtete politische Systeme als offene, dynamische Strukturen, die nur durch Mechanismen der Selbstkorrektur stabil bleiben. Auch wissenschaftliche Institutionen unterliegen der Gefahr struktureller Erosion, wenn sie:

 

  • Dogmatische Gewissheiten über kritische Reflexion stellen

  • Status und Autorität über die Suche nach Wahrheit priorisieren

  • Machtinteressen die Freiheit der Forschung untergraben

 

Damit Wissenschaft lebendig bleibt, müssen offene Diskursräume erhalten, Vielfalt an Perspektiven zugelassen und Kritik als produktiver Bestandteil des Erkenntnisprozesses begriffen werden. Nur eine dynamische Wechselwirkung zwischen wissenschaftlichen Strukturen und kritischer Selbstreflexion kann langfristig Degeneration verhindern.





Für die Richtigkeit und für die Qualität meiner Äußerung stehe ich mit meinem Namen.

Werner Francis Schultze
Werner Francis Schultze


















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